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wissenswertes

Erntehelfer in Deutschland:
Rückblick auf die lange Geschichte

Keine Landwirtschaft ohne Erntehelfer

AgrarOptimal – Erntehelferversicherung:

Ob Spargel, Erdbeeren, Äpfel oder Beerenfrüchte – ohne die jährliche Unterstützung der saisonalen Erntehelfer würde vieles an reifem Obst und Gemüse nicht abgeerntet vergammeln. Der Anbau von Sonderkulturen wie Spargel, Erdbeeren, Weintrauben oder Gemüsegurken erfordert besonders in der Erntezeit einen hohen Arbeitsaufwand. Trotz technischem Fortschritt setzen auch noch heute besonders druckempfindliche Kulturen Handarbeit voraus. So werden in Deutschland während der Erntesaison, die von März bis Oktober reicht, tausende Erntehelfer eingesetzt, um die anfallenden Herausforderungen zu bewältigen.

Erntehelfer werden oft schon ab März eingestellt, um die Pflanzen auf die Ernte vorzubereiten oder neue Pflanzen zu setzen. Ab April werden Erntehelfer überwiegend im Gemüsebau, vor allem im Spargelanbau gebraucht. Ab Mitte Mai beginnt die Erdbeerzeit. Und während Betriebe, die nur Spargel und Erdbeeren anbauen, nach Mitte Juni keine Erntehelfer mehr benötigen, haben Gemüseanbaubetriebe kontinuierlich Bedarf an Unterstützung. Die Beeren- und Obstbetriebe sind erst ab Juni und dann bis Mitte August auf Erntehilfe angewiesen. In den Monaten September oder Oktober kommen viele Erntehelfer für die Weinlese. In einigen Betrieben erfolgt die Weinlese ausschließlich mechanisch und erfordert keine Handarbeit. Die Saisonarbeiter kommen allerdings zu anderen Arbeiten im Weinbau, wie zum Beispiel Ausschneiden, zum Einsatz.

Im Durchschnitt ist die größte Nachfrage nach Erntehelfern für den Spargel als Einzelkultur, gefolgt von der Erdbeerproduktion, Weintrauben und Äpfeln. Welche Kulturen die Saisonnachfrage dominieren, ist allerdings von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich.

Im Jahr 2020 waren rund 275.000 Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft beschäftigt – das sind etwa 30% aller Arbeitskräfte in der Landwirtschaft.

Ausländische Saisonarbeiter in Deutschland:
historischer Überblick

Ernte per Hand erfordert meist schwere körperliche Arbeit, oft in gebückter Haltung und bei großer Hitze. Dabei geht der Arbeitslohn selten über die gesetzliche Mindestlohnregelung hinaus. Nichtdestotrotz kommen viele ausländische Erntehelfer nach Deutschland, da das Lohnniveau in einigen Ländern deutlich niedriger angesetzt ist. So sind vor allem Erntehelfer aus Ost- und Südosteuropa seit vielen Jahren ein wichtiger Bestandteil der Landwirtschaft in Deutschland.

Wie alles begann

In Deutschland existiert eine lange Geschichte der Arbeitsmigration in der Landwirtschaft. Bereits in der Zeit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert kamen viele osteuropäische Gastarbeiter nach Deutschland. Saisonal befristete Arbeitserlaubnisse für Erntehelfer wurden von der Reichsregierung eingeführt, um massenhaft in die Städte abgewanderte Landarbeiter durch ausländische, vorwiegend polnische, Saisonarbeiter zu ersetzten.

Obwohl die Beschäftigung von polnischen Erntehelfern im Deutschen Kaiserreich und in der Weimarer Republik aus wirtschaftlicher Sicht notwendig war, sollte es aus Furcht vor einer „Polonisierung“ verhindert werden, dass polnische Arbeitskräfte sich dauerhaft niederließen. Ihr Aufenthalt wurde deshalb nur auf saisonale Arbeit minimiert.

Nach der Erntesaison mussten ausländische Erntehelfer Deutschland wieder verlassen. Trotz der strengen Einreisekontrollen wurde die Zahl der ausländischen Saisonarbeiter in der Landwirtschaft vor dem Ersten Weltkrieg auf ca. 270.000 geschätzt.

Mit dem Aufbruch des Ersten Weltkrieges war das preußische Kriegsministerium dagegen bestrebt, polnische Saisonarbeitnehmer an einer Rückkehr in ihre Heimat zu hindern und diese mindestens bis zur Einbringung der Ernte weiter zu beschäftigen. 300.000 Saisonarbeiter waren gezwungen, gegen ihren Willen in Deutschland zu bleiben. Auch Kriegsgefangene wurden vorwiegend in der Landwirtschaft eingesetzt.

Nach dem 1. Weltkrieg fehlten überall in Deutschland Arbeitsplätze. Aus diesem Grund versuchte die Reichsregierung, die Saisonvertragsregelung zu unterbinden. Trotz hoher Arbeitslosigkeit waren allerdings nicht viele Deutsche bereit, als Erntehelfer zu arbeiten. Um den Arbeitskräftebedarf in der Landwirtschaft decken zu können, musste die Reichsregierung eine begrenzte Anzahl an Saisonverträgen für polnische Erntehelfer wieder zulassen.

Die neuen gesetzlichen Regelungen nach dem Ersten Weltkrieg, die Weltwirtschaftskrise ab 1929 und schließlich das Verbot für die Anreise polnischer Arbeiter im Jahre 1932 führten dazu, dass die Zahl der ausländischen Saisonarbeiter stark zurückging. Mit dem Aufheben des Einreiseverbotes 1937 war wieder eine begrenzte Zahl an Saisonarbeiter aus Polen erlaubt. Damit stieg die Gesamtzahl der Erntehelfer aus dem Ausland wieder an.

Während des Zweiten Weltkrieges handelte es sich bei den Erntehelfern hauptsächlich um Zwangsarbeiter. 1944 wurden in Deutschland fast acht Millionen ausländische Zwangsarbeiter gezählt, die Mehrheit davon stammte aus der Sowjetunion und aus Polen.

Erntehelfer historisches Bild

Die Situation nach dem Zweiten Weltkrieg war durch eine zerstörte Wirtschaft und gleichzeitig durch ein Überangebot an Arbeitskräften gekennzeichnet. Durch das enorme Wirtschaftswachstum der 1950 und 1960er Jahre kehrte die Situation aber in ihr Gegenteil, was wieder zu einem weiter steigenden Mangel an Arbeitskräften führte.

Aufgrund der enormen Anfrage an Arbeitskräften wurden die Anwerbeverträge für ausländische Gastarbeiter mit Italien, Spanien, Griechenland, Türkei, Marokko, Portugal, Tunesien und Jugoslawien geschlossen.

Doch die in der 1960er und 1970er Jahre angeworbenen Gastarbeiter aus dem Mittelmeerraum arbeiteten vergleichsweise selten in der deutschen Landwirtschaft. Und eine Beschäftigung osteuropäischer Erntehelfer war bis zum Fall des Eisernen Vorhangs nicht im vollen Umfang möglich. Erst im wiedervereinigten Deutschland gewann die über Jahrzehnte blockierte Ost-West-Arbeitsmigration wieder an Bedeutung.

Anfang der 1990er Jahre vereinbarte die Bundesrepublik Deutschland mit den meisten osteuropäischen Staaten Abkommen zur Regelung der Arbeitsmigration. Zentraler Punkt dieses Abkommens war die Begrenzung der Zuwanderung sowie die Einschränkung der Tätigkeit in Deutschland auf Saisonarbeit bis maximal 3 Monate. Dies führte unter anderem dazu, dass mit der Zeit andere Länder Europas für polnische Erntehelfer attraktiver wurden. Andererseits sorgten die verbesserten Erwerbsmöglichkeiten in Polen dafür, dass das Interesse an der Erntehelfer-Tätigkeit im Ausland allgemein sank. So gewannen auch andere osteuropäischen Länder, wie Rumänien und Bulgarien, als Herkunftsländer von Saisonarbeitskräften immer mehr an Bedeutung für die deutschen Landwirte. Nichtdestotrotz stellten Arbeitskräfte aus Polen seit Mitte der 1990er Jahre über 80% aller Saisonarbeiter in Deutschland.

Die EU-Osterweiterung im Jahre 2004 hat einerseits viele Einreisebarriere für die ausländische Erntehelfer aufgehoben, andererseits haben sich die Lohnunterschiede in den EU-Ländern immer mehr angeglichen und die Arbeitsverhältnisse in eigenen Ländern sich verbessert. Vor allem für polnische Saisonarbeiter wurde die Erntehelfer-Tätigkeit nicht mehr lukrativ genug, denn andere Branchen wie Logistik oder Gastronomie konnten teilweise bessere Bedingungen bieten. Wenn es 2004 noch 286.623 offizielle Vermittlungen polnischer Saisonarbeiter gab, sank diese Zahl bis 2010 bereits auf 177.010. Parallel zu den sinkenden Zahlen polnischer Erntehelfer in Deutschland stiegen die Vermittlungszahlen rumänischer Erntehelfer im Laufe der Jahre deutlich an.

Die Situation heute

Wenn Polen viele Jahre konkurrenzlos die meisten Erntehelfer lieferte, hat sich Rumänien allmählich zum bedeutendsten Herkunftsland von Saisonkräften entwickelt.

Wie die genaue Verteilung der Herkunftsländer ausschaut, erscheint schwierig nachzuvollziehen, da es für Saisonarbeitskräfte aus der EU seit 1. Juli 2015 keine Zulassungsbeschränkungen mehr gibt. Das bedeutet unter anderem, dass Arbeitsverträge mit den Erntehelfern ohne Beteiligung der Bundesagentur für Arbeit abgeschlossen werden können. Nach Angaben der Initiative Faire Landarbeit, die in Kontakt mit ausländischen Erntehelfern vor Ort tritt, kommen die meisten Arbeiter aus Rumänien, ein vergleichsweise kleiner Teil der beschäftigten Erntehelfer stammt auch aus Polen, Bulgarien, oder aus der Ukraine. Laut verschiedenen Berichten scheint aber die Zahl der Erntehelfer aus Rumänien seit 2020 abzunehmen.

Erntehelferin Apfelernte

Seit kurzem gewinnen auch Herkunftsländer außerhalb der EU, sogenannte Drittstaaten, als Rekrutierungsräume immer mehr an Bedeutung. Aktuell gibt es Abkommen mit Georgien und der Republik Moldau. Obwohl Staatsangehörige dieser Länder ohne Visum als Saisonkräfte arbeiten dürfen, kommen nur wenige Erntehelfer aus diesen Ländern nach Deutschland.

Viele Betriebe berichten schon seit Jahren von zunehmenden Problemen bei der Suche nach saisonalen Arbeitskräften. Die Corona-Krise hat zudem mehr als deutlich gezeigt, wie stark die deutsche Landwirtschaft auf die Erntehelfer aus dem Ausland angewiesen ist.

Die Situation um die Beschäftigung von Erntehelfern wird auch nicht einfacher. Neben dem immer steigenden Mindestlohn, gibt es viele Verpflichtungen für die Erntehelferbetriebe, wie die seit 2023 obligatorische Arbeitszeiterfassung, das 2022 eingeführte DEÜV-Meldeverfahren, Dokumentationspflichten für die Unterbringung und andere sozialversicherungsrechtliche, aufenthaltsrechtliche und arbeitsrechtliche Aspekte.

Aus Gründen der Lesbarkeit wird im oben stehenden Text ausschließlich die männliche Form verwendet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.